Viele Unternehmen mussten sich die letzten Monate damit beschäftigen, wie man aus Distanz führen kann. Ziemlich sicher stolperten einige Führungskräfte hierbei auch über das Thema Vertrauen. Ist es überhaupt möglich aus der Distanz zu vertrauen oder vertraut man automatisch, da Kontrolle nicht mehr im gleichen Ausmass möglich ist? Diese Fragen beschäftigen mich als angehende Arbeits- und Organisationspsychologin zweifelsohne und sollen daher in diesem Blogbeitrag vertieft werden.

Um beantworten zu können, ob es möglich ist aus der Distanz zu vertrauen, muss zuerst geklärt werden, was es grundsätzlich braucht, um Vertrauen in einem Unternehmen aufbauen zu können. Dazu möchte ich gerne einige Ansätze aufzeigen, welche beim Aufbau von Vertrauen helfen können: Inspirieren lassen habe ich mich dabei vom Buch die vierte Dimension.

  • Eigenes Verhalten

    Wichtige Stützpfeiler des Vertrauens sind gelebte Integrität und Berechenbarkeit. Das Vertrauen des Gegenübers lässt sich nicht gewinnen, in dem man das eigene Wort nicht hält und ein sehr wechselhaftes Verhalten an den Tag legt.

  • Vertrauensvorschuss

    Ein Vertrauensvorschuss eignet sich sehr gut zur Förderung von mehr Vertrauen im Unternehmen. Meistens führt dies zu Wechselwirkungen auf beiden Seiten. Man will niemanden enttäuschen, der einem sein Vertrauen entgegen bringt und verhält sich dementsprechend. Konkret kann dieser Vertrauensvorschuss als Führungskraft so aussehen, dass Mitarbeitenden verantwortungsvolle Aufgaben übertragen werden, Kontrollen reduziert werden und bei neuen Projekten der Handlungsspielraum erweitert wird.

Übrigens: Studien haben zudem gezeigt, dass Menschen mit hoher Vertrauensneigung effektiv weniger über den Tisch gezogen werden (Pilluta).

  • Positive Fehlerkultur

    Eine positive Fehlerkultur ist hoch relevant für die Gewinnung von Mitarbeitervertrauen. Wer mit Fehler offen umgehen kann und darf, wählt auch mal den kreativeren Weg bei Problemen und denkt eher “out of the box”. Solche Prozesse werden durch zu häufige formalisierte Kontrollen unterbunden. Es entsteht dadurch sogar sehr oft eine Fehlerfokussierung. Sieht die Führungskraft Fehler als fehlgeschlagener Versuch oder gescheitertes Experiment mit Lerneffekt, werden Mitarbeitende eher genügend Vertrauen entwickeln, um eigenverantwortlich und engagiert Lösungen zu finden und Herausforderungen selbstbewusst zu lösen.

Und fällt bei den Ansätzen etwas auf? JA! Alle diese Dinge könne aus der Distanz ebenfalls umgesetzt werden! Es ist natürlich klar, dass es andere Ansätze gibt und sicher nicht jeder aus der Distanz einfach umzusetzen ist. Es sollte aber klar werden, dass es weniger auf die Distanz als auf die Haltung des Unternehmens aber insbesondere der Führungskraft draufankommt. Führungskräfte können aus der Distanz genauso wirksam führen wie vor Ort. Ist die richtige Haltung vorhanden, unterscheiden sich nur noch die Werkezuge, Kommunikationskanäle etc.

Kontrolle aus Distanz

Für Kontrolle gilt dasselbe wie für Vertrauen: Wer kontrollieren will, macht dies aus nah und fern. Genauso wie diejenigen, die dies nicht wollen. Es ist völlig klar, dass einige Kontrollen angepasst werden müssen. Dass kann aber auch ein guter Anstoß dazu sein, bestehende Kontrollen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Nun stellt sich immer noch die Frage, ob eines der beiden Themen aus der Distanz überwiegt oder automatisch gefördert wird. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, ist es sinnvoll aufzuzeigen, wann wir eher dazu neigen zu kontrollieren und wo es uns leichter fällt zu vertrauen.

Das Bedürfnis nach Kontrolle zeigt sich vorwiegend in fremden Situationen. Was der Mensch nicht kennt, macht ihn unsicher. Diese Unsicherheit möchten wir möglichst schnell überwinden, indem wir versuchen die Kontrolle zu behalten. Vertrauen zu schenken, gelingt uns eher in vertrauten Situationen. Nun kann man bei vielen Unternehmen davon ausgehen, dass Homeoffice und co. Vor der Pandemie fremde Situationen dargestellt haben und die Tendenz kontrollieren zu wollen, überwogen hat. Ein automatischer Vertrauensaufbau aus der Notlage heraus, sehe ich also eher als unwahrscheinlich. Interessanterweise zeigt sich gänzlich fehlende  Kontrolle auch nicht als bedingungsloses Vertrauen, sondern als Ignoranz gegenüber den Mitarbeitenden oder der Situation. Das Gegenteil von Kontrolle ist also Ignoranz und nicht Vertrauen.

Wie komme ich den nun zu Vertrauen aus Distanz, obwohl ich eher dazu verleitet bin zu kontrollieren? Es gilt eine Balance aus Vertrauen und Kontrolle aufzubauen, welche im Verlauf der Zeit dazu führt, dass die zu Beginn neue/fremde Situation vertraut wird. Dafür eigenen sich die obengenannten Ansätze übrigens hervorragend. Man muss also eigentlich aus einer fremden Situation heraus kontrollieren was sinnvoll und notwendig ist und ansonsten trotz Distanz versuchen Verantwortung zu übergeben und klar im eigenen Verhalten und in den eigenen Worten bleiben. Zudem ist es hilfreich die neue Situation als solches anzuerkennen, damit auch klar ist, dass Fehler Lernfelder sind und dabei helfen sich in der neuen Situation recht zu finden. So ist es auch möglich aus der Distanz Vertrauen aufzubauen, im Bewusstsein, dass Vertrauen nicht einfach da ist, wenn keine Kontrolle vorhanden ist.

Was habt ihr für Erfahrungen gemacht bezüglich Vertrauen aus Distanz?

Die aufgezeigten Verhaltensweisen sind aus dem Vertrauensmodell von Prof. Dr. Olaf Geramanis. Unter diesem Link erscheint ein Video, in welchen das Modell detailliert erklärt wird.